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«Erschöpft» - wenn die Akkus leer sind

Die inneren «Akkus» immer schön aufladen und bedacht mit den eigenen Energien umgehen, ist ein wunderbarer Grundsatz, den viele Menschen zu befolgen versuchen. Die Realität weicht von dieser Idealvorstellung nicht selten etwas ab. Immer wieder berichten mir Klient*innen von ihrer physischen und/oder psychischen Erschöpfung. Diese Formen der Energielosigkeit werden sehr oft von Gefühlen wie Ruhelosigkeit (Stress), Traurigkeit, Ohnmacht, Wut, Scham etc. begleitet. Die Erzählungen ähneln sich, obschon ihre Absender*innen sich mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sehen. Der Alltag wird gerne metaphorisch mit einem Hamsterrad verglichen - kräftezehrend und zermürbend. Sie äussern den Wunsch, dem Leben entschleunigter und damit auch bewusster begegnen zu wollen. Oft geht dieser Erschöpfung ein langer und nicht selten auch schambehafteter Leidensweg voraus. Bis man sich entscheidet professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, ist der Leidensdruck oft schon gross. Diesem Leidensdruck von Klient*innen achtsam zu begegnen, ist mir ein grosses Anliegen. Auch das Schaffen eines sicheren Begegnungsraumes, aktives Zuhören, Interesse, Empathie, Authentizität sowie therapeutische Demut sind für mich als Therapeutin zentrale Voraussetzungen für eine gelingende Klient*innen-Therapeut*innenbeziehung.



Um eine Problemtrance bei meinem Gegenüber jedoch zu vermeiden, erlaube ich mir jeweils einen sanften Übergang zu injizieren, indem ich beginne, systemisch-lösungsorientierte Fragen ins Gespräch einzuflechten. Jeder einzelnen Leidensgeschichte soll achtsam begegnet, die passenden Fragen sorgfältig gewählt und formuliert werden. Doch trotz Individualisierung bleibt mein therapeutisches Handeln immer dem einen Ziel zugewandt, die Ressourcen meines Gegenübers mit gezielten Fragen zu aktivieren und spürbar(er) zu machen:

· Wenn Sie zurückblicken, wann konnten Sie in den letzten Wochen ein wenig zu Energie kommen bzw. dem Hamsterrad für eine gewisse Zeit entfliehen?

· Was war dann anders als sonst? Was davon hat Ihnen besonders gutgetan?

· Was hilft Ihnen sonst noch Ihre «Akkus» wieder aufzuladen?

· Was hat Ihnen früher geholfen Ihre «Akkus» aufzuladen? Was davon könnte heute noch die gewünschte Wirkung aufweisen?

· Und wie fühlt sich das an, wenn Sie xxxx tun?

· Und wo spüren Sie diese zurückkehrende Energie körperlich? etc.


Die Aufmerksamkeitsfokussierung, die durch diese Fragen angeregt wird, bildet die Voraussetzung für gezielte Achtsamkeits- und Ressourcenarbeit mit meinen Klient*innen. Beim Stellen lösungsfokussierter Fragen werden neue Möglichkeitsräume geschaffen. So beispielsweise mit den Fragen: „Was tut Ihnen wirklich gut?“ „Und was davon genau?“ „Und angenommen, Sie tun genau dies, wie würde sich das auf Ihre jetzige Situation auswirken?“ etc.

Auf die Frage: «Was hilft Ihnen in solchen sehr schwierig auszuhaltenden Situationen am meisten?» antworten eine Vielzahl von Klient*innen, dass Bewegung oder Sport treiben in der Natur eine positive Wirkung auf sie habe (z.B. Laufen, Gehen, Walken, Wandern, etc.) Besonders wohltuend dabei, sei den Körper (wieder) zu spüren, Raum zu haben, um die Gedanken zu ordnen und die Stille um sich herum wahrzunehmen. Genau an dieser Stelle sprechen wir von echter bzw. gelebter Achtsamtkeit. Es handelt sich bei achtsamem Verhalten nicht um das Schaffen künstlicher Oasen, nach dem Motto „Jetzt sollte ich mal wieder achtsam sein!“, sondern um den Kontext, wo Achtsamkeit im Alltag gelebt werden kann. In diesem Beispiel handelt es sich um die körperliche Aktivität in der Natur, welche dazu dient, achtsam(er) zu sein.

Achtsamkeit und Aufmerksamkeitsfokussierung bedingen sich sozusagen gegenseitig. Je fokussierter, aufmerksamer, bewusster ich eine Situation wahrnehmen kann, desto besser gelingt es mir, meine eigenen Bedürfnisse zu spüren und wahrzunehmen. Desto besser gelingt es mir, meine teilweise selbstdestruktiven, traurigen oder auch schambehafteten Gefühle selbst zu regulieren. Natürlich ist die (Selbst)Achtsamkeit nur ein Aspekt, wenn es um das Thema Erschöpfung geht. Die eigene Biografie und die daraus resultierenden Glaubenssätze und Handlungsmuster spielen vermutlich die wichtigste Rolle. Alle diese Themen können mit Hilfe von Fachpersonen thematisiert, bearbeitet und in einen neuen Bedeutungszusammenhang gebracht werden. Wie so manches im Leben braucht auch dieser Prozess seine Zeit. In meiner Praxis mache ich mit der Kombination von Achtsamkeitstraining und systemisch-lösungsorientierter Therapie sehr gute Erfahrungen. Denn nicht jeder psychische und physische Erschöpfungszustand muss in einem Burnout, bzw. in einer Überlastungsdepression, enden. Achtsamkeit ist für mich ein Ausdruck gelebter Gesundheitsprävention für Seele und Körper. Jedoch ist es mir ein persönliches Anliegen zu erwähnen, dass Achtsamkeit nicht immer gleich intensiv gelebt werden kann und das ist völlig okay so. Stellen wir keine zu hohen Ansprüche an uns selbst und freuen uns über diejenigen Momente, in denen es uns bereits gelingt, achtsam zu sein.


Alexa Niedermann 29.11.2021


Zur Definition von Achtsamkeit: Achtsamkeit kann als klares und nicht-wertendes Gewahrsein dessen bezeichnet werden, was in jedem Augenblick geschieht. Sie ermöglicht uns, Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle und alle anderen Wahrnehmungen, ob angenehm, unangenehm oder neutral, zu erfahren und so zu akzeptieren, wie sie sind – das Leben also tatsächlich zu erleben, wie es sich von Augenblick zu Augenblick entfaltet.

Mehr unter: https://www.mindfulness.swiss/achtsamkeit/achtsamkeit/

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